Dossier: Boden gut, alles gut?
Im komplexen Wechselspiel zwischen Bodenschutz, Lebensmitteln und Landwirtschaft haben wir uns auf die Suche nach Wegen zu nachhaltiger Lebensmittelversorgung und gesunden Böden begeben. Und angeschaut, wie nachhaltige Landwirtschaft, Alternativen im Lebensmittelsystem und Maßnahmen gegen Bodenversiegelung funktionieren – und was sie bewirken können.
Bodenschutz ist Klimaschutz, ist Artenschutz, ist die Grundlage unserer Versorgung mit Lebensmitteln.
Leonore Gewessler, amtierende Bundesministerin für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie
Wort des Jahres 2023 in Österreich ist „Kanzlermenü“ und bezieht sich auf einen vielzitierten Rat des österreichischen Bundeskanzlers an Familien, denen er als günstige warme Mahlzeit einen McDonald Hamburger empfiehlt. Wir von relevant. hätten für Bodenschutz gestimmt. Zumindest kam es uns vor, als ob das Thema immer stärker in den Fokus rückt. Immerhin ist Österreich amtierender Europameister in der Bodenversiegelung und verwendet im Verhältnis zu seiner Fläche mehr Boden als jedes andere Land in Europa.
Wie können wir also Boden gut machen? In diesem Dossier haben wir verschiedene Perspektiven sozusagen von Grund auf unter die Lupe genommen – denn wie oben zitiert, ist gesunder Boden die Grundlage unserer Versorgung mit Lebensmitteln.
Rund 60 Prozent der globalen Biodiversität befinden sich in Böden, die enthaltenen Mikroorganismen übernehmen wesentliche Funktionen in der Nahrungsmittelproduktion für den Menschen. Boden filtert das Grundwasser, speichert Wasser, Nährstoffe und CO2 und ist Lebensraum für viele Organismen. Boden ist wichtig fürs Klima, die Wasserversorgung, Biodiversität und natürlich auch für die Land- und Forstwirtschaft.
Arthur Kanonier von der Technischen Universität Wien leitet den Forschungsbereich Bodenpolitik und Bodenmanagement. Was sind aus seiner Sicht die effektivsten Hebel, um wichtigen Boden zu schützen? Ein erster, wichtiger Schritt wäre es, Grünlandbereiche als öffentliches Interesse zu widmen und sie zu schützen:
Wir brauchen diese Flächen, weil sie Funktionen für die Ernährungssicherheit erfüllen, weil sie Kaltluftschneisen sind, Biodiversität erhalten oder uns vor Naturgefahren schützen.
Arthur Kanonier, Technischen Universität Wien
Boden gut- alles gut?
In 5 Artikeln haben die relevant. Autor:innen Susanne Wolf, Laura Anninger, Lukas Bayer und Michaela Hessenberger im Laufe des vergangenen Jahres über Lösungen berichtet, die aus verschiedenen Perspektiven und Ebenen Antworten auf die Frage liefern, wie wir Boden gut machen können.
Was können nachhaltige Landwirtschaft, die Suche nach Alternativen im Lebensmittelsystem und Maßnahmen gegen Bodenversiegelung bewirken?
Um ehrlich zu sein (noch) relativ wenig, konfrontiert mit komplexen Problemen, die das menschliche Handeln auf diesem Planeten schafft, scheint die Lage für Viele aussichtslos.
Andere sehen die Dinge anders und gehen die Sache an: Sie initiieren Projekte und gründen Unternehmen, die Alternativen anbieten, Anders ein(zu)kaufen, sie richten den Blick in andere Länder und stellen sich als Bürgermeister:innen der Aufgabe Boden gut (zu)machen, sie stellen landwirtschaftliche Betriebe auf Permakultur um, ahmen die Natur nach und konzentrieren sich darauf, den Humus(anbau) für gesunde Böden zu fördern, altes Wissen zu nutzen und weiterzugeben oder Anbauflächen so zu gestalten, dass Menschen und Tiere gleichermaßen profitieren: Pflanzt Bäume auf die Felder, rufen sie aus den gallischen Dörfern und kleinen Büros, die mit keinem geringeren Auftrag angetreten sind, als die Welt besser zu machen. Im Kleinen, Schritt für Schritt.
Bauernschlau? Ein Umdenken in der Landwirtschaft
„Eine Gesellschaft kann nicht mit nur zwei bis drei Prozent Landwirt:innen überleben. Aber die Bäuer:innen von morgen werden nicht aus der schrumpfenden Bauernklasse kommen, sondern aus den Städten, Büros, Geschäften, Fabriken usw. Eines ist sicher: Sie werden nicht mit den Modellen der Vergangenheit auf das Land gehen.
Wir müssen neue Wege erfinden, wie wir im 21. Jahrhundert Landwirt:innen sein können.
Charles Hervés-Gruyer, Ferme du Bec Hellouin
Das Interesse an alten und neuen Formen der Landwirtschaft ist stark gestiegen. Wissens- und Erfahrungsaustausch findet in offenen Netzwerken von Bäuerinnen, Bauern an Universitäten und Forschungseinrichtungen statt. Ziel ist die Förderung einer regenerativen Landwirtschaft, also einer Humus aufbauenden und Boden belebenden Form der Landbewirtschaftung. So geben zum Beispiel der Bio-Landwirt Hubert Stark und die Humusbewegung Wissen und Erfahrungen um die Geheimnisse des “guten Bodens” in Workshops und Veranstaltungen weiter und setzen sich für ein Umdenken in der Landwirtschaft ein.
Humus als CO2-Speicher
In der regenerativen Landwirtschaft geht es darum, Böden wieder zu beleben und Humus aufzubauen.
Hubert Stark, Bio-Landwirt
Forscher:innen der Universität für Bodenkultur Wien (BOKU) sind überzeugt, dass durch den Aufbau von Humus große Mengen an CO2 aus der Luft in der Vegetation und Kulturlandschaft gespeichert werden könnten. Eine humusreiche Wiese kann 180 Tonnen CO2 pro Hektar speichern. Außerdem wird Wasser durch Humusaufbau länger im Boden gespeichert und ist somit auch in Trockenperioden verfügbar.
“Zum einen erhöht sich dadurch die Bodenfruchtbarkeit, zum anderen wird mehr Kohlenstoff gespeichert und die Böden werden widerstandsfähiger gegen Trockenheit, extreme Niederschläge und Erosion,“ erzählt uns Sophie Zechmeister-Boltenstern, Leiterin des Instituts für Bodenforschung an der BOKU im Artikel Humus für gesunde Böden. “Wenn es uns gelingt, den Humusgehalt der Böden auf der ganzen Welt um vier Tausendstel pro Jahr zu erhöhen, dann könnte man theoretisch den jährlichen von Menschen verursachten CO2-Ausstoß dadurch einfangen,“ so die Bodenforscherin.
In Zeiten von Strukturwandel, Flurbereinigungen sowie fortschreitender Mechanisierung und Intensivierung der Landwirtschaft ist ein Trend hin zu regenerativen Methoden zu beobachten, den immer mehr Landwirtinnen und -wirte nicht zuletzt wegen des Klimawandels aufgreifen. Weltweit, europaweit, österreichweit.
Altes Wissen neu angewandt
Die meisten von uns haben schon Mal in einem Flugzeug runter auf die endlosen Felder geblickt- und keine Bäume gesehen. Warum eigentlich?
Schon vor Jahrhunderten war die Agroforstwirtschaft in Form von Streuobstwiesen und -äckern, Hecken oder auch Waldweiden verbreitet. Dann mussten sie Platz für Traktoren und andere Maschinen machen. Heute geht es um die multifunktionale Landnutzung. So entdecken Landwirtinnen und Landwirte Agroforst-Systeme, die Kombination aus Ackerbau und Bäumen bzw. Sträuchern, als Booster für Biodiversität wieder.
Früher hieß es ,Schäm‘ dich‘, wenn jemand so ein Gestrüpp hat stehen lassen. Heute ist es genau das, was die Natur braucht.
Rudolf Rosenstatter, Landwirt
“Langfristiges Denken ist angesagt. Wenn jetzt Bäume gesetzt werden, ernten vielleicht erst die Kinder den Ertrag.“ Sind die Bäume alt genug, um Nüsse, Früchte oder Holz abzuwerfen, dann führe das zu einer Ausweitung des Einkommens, die durchaus gutes Geld in die Kassen bringt, erklärt Theresia Markut vom Forschungsinstitut für biologischen Landbau in Wien:
Agroforst ist eine Bereicherung für die Landschaft und stemmt sich der Biodiversitäts-Krise entgegen, vom wichtigen Lebens- und Brutraum für Säugetiere, Vögel, Amphibien oder Insekten ganz zu schweigen!
Theresia Markut, FiBL
Übrigens: Die Österreichische UNESCO-Kommission hat „Streuobstanbau in Österreich“ in das nationale Verzeichnis des immateriellen Kulturerbes in Österreich aufgenommen.
Natur als Vorbild
Bodenschutz kann langfristig gelingen, wenn natürliche Ökosysteme und Kreisläufe in der Natur beobachtet und nachgeahmt werden. Dieser Zugang ist auch Ausgangspunkt für das Konzept der Permakultur, das, so wie wir es heute kennen, in den 1970er Jahren in Australien von Bill Mollison und David Holmgren entwickelt wurde. Sie ließen sich von ihren Beobachtungen bei den Aborigines inspirieren und erhielten dafür 1981 den Alternativen Nobelpreis.
Josef Holzer gilt mit seinem Hof in Salzburg als Vorreiter der Permakultur in Österreich, er bringt das Grundprinzip auf den Punkt:
Wir arbeiten mit der Natur, nicht gegen sie.
Josef Holzer, Permakultur Landwirt
In Europa wurde das Konzept in den 2000er Jahren vor allem durch das Ehepaar Perrine und Charles Hervés-Gruyer bekannt. Um die Effizienz ihrer Methode wissenschaftlich zu bestätigen, wurde auf der von ihnen seit 2004 ohne jede Grundkenntnisse bewirtschafteten Ferme du Bec Hellouin (Normandie, Frankreich) 2011 ein Forschungsprogramm gestartet. Die Ergebnisse zeigten: Der Ertrag der untersuchten Beete ist drei- bis viermal höher als bei einem konventionellen Gemüsebetrieb. Permakultur bedeutet allerdings viel mehr als die Erträge.
“Es ist die Grundlage für eine bessere Lebensqualität nachfolgender Generationen“, erklärt Marlies Ortner, Gründerin der Permakultur Akademie im Alpenraum.
In ihrem Buch “Unser Leben mit Permakultur” formuliert das Ehepaar Hervés-Gruyer, dass Permakultur zwar ethisch leicht zu formulieren sei: achtsamer Umgang mit der Erde, achtsamer Umgang mit den Menschen, gerechte Verteilung der Ressourcen, aber anspruchsvoll in der praktischen Umsetzung.
Umstieg schwer gemacht
„Der Klimawandel zeigt die Schwachstellen unseres landwirtschaftlichen Systems auf, in dem über Jahrzehnte hinweg Kulturlandschaften degradiert wurden“, ist Josef Holzer überzeugt.
Die auf Monokultur und Massentierhaltung ausgelegte Landwirtschaft, die unsere Landschaft prägt, ist so dominant verankert, dass eine Umstellung auf andere Methoden mit hohem Aufwand und Willen verbunden ist.
Hubert Stark, Bio-Landwirt, hat erlebt, dass viele Landwirt:innen sich angegriffen fühlen, wenn man ihre Vorgehensweise kritisiert – denn diese hat ja lange Zeit gut funktioniert. „In unserem kapitalistischen Denken müssen sie das so machen, um die Rechnungen zahlen und überleben zu können,“ kritisiert Stark.
Boden zu regenerieren kostet Geld, das viele nicht haben.
Hubert Strak, Biolandwirt
Landwirtschaftliche Förderungen würden lieber in Maschinen und Traktoren investiert, weil das greifbarer sei. Dazu kommt, dass ein Großteil der landwirtschaftlichen Flächen gepachtet ist. Viele Betriebe müssten zusperren, weil sie keine Zukunft sehen.
Erreichbare Förderungen sieht auch Theresia Markut vom Forschungsinstitut für biologischen Landbau als unbedingten Gamechanger, wenn sich nachhaltige Landwirtschaftssysteme wie Agroforst in Österreich weiter etablieren sollen.
Aus dem System aussteigen?
Das vorherrschende Lebensmittelsystem beruht auf der Ausbeutung der Bauern, die nur einen Bruchteil dessen kriegen, was wir im Geschäft für ein Produkt bezahlen.
Martin Gerstl, morgenrot
Die Direktvermarktung von Bäuer:innen zu Konsument:innen würde von der Politik nicht genug unterstützt, kritisiert Marlies Ortner, Gründerin der Permakultur Akademie im Alpenraum und verweist auf das lokale Wirtschaften als Grundidee der Permakultur. „Immer mehr wollen aus dem System aussteigen und verzichten daher auf staatliche Förderungen – da es für Permakulturbauern keine gibt. Für die Bauern bedeutet der Umstieg zuerst einmal finanzielle Einbußen, die sich später jedoch durch höhere Erträge bezahlt machen.“ erklärt Ortner.
Die konventionelle Landwirtschaft trägt maßgeblich zur Umwelt- und Klimakrise bei: Laut EU sind 21 bis 37 Prozent aller durch Menschen verursachten Treibhausgasemissionen auf Produktion, Transport, Verarbeitung und Verteilung von Lebensmitteln zurückzuführen. Dazu kommen lange Transportwege und Lebensmittelverschwendung.
Anders einkaufen?
Wenn ein Supermarkt beim Bauern eine bestimmte Menge Melanzani bestellt, muss dieser 120 bis 160 Prozent anbauen, damit die bestellte Menge geliefert werden kann – weil er das Risiko von Hagel, Sturm oder Trockenheit mit einberechnet.
Andreas Diesenreiter, Unverschwendet
Die Menge der in der Landwirtschaft anfallenden Lebensmittelabfälle wird auf 167.000 Tonnen jährlich geschätzt. Die Gründe für Überproduktion sind vielfältig: Die Lebensmittel sind zu klein, zu groß, zu krumm oder es ist gerade kein Transporter verfügbar. Doch auch die Unwägbarkeiten der Natur spielen eine Rolle.
Der Wunsch nach alternativen Angeboten und einem bewussteren Konsum schlägt sich nicht zuletzt in Anbieterinnen und Initiativen nieder, die zwar nur 5 Prozent des Marktes ausmachen, aber vormachen, wie es anders und auch erfolgreich geht. Anbau- und Einkaufsgenossenschaften, Foodcoops, oder Gemeinschaftsgärten zeigen, wie anders Einkaufen funktionieren kann und genießbare Lebensmittel im Umlauf bleiben können.
In Österreich gibt es immer mehr engagierte Menschen oder solche, die gerne anders einkaufen würden. Sie investieren Zeit und Geld, um einem ausbeuterischen System etwas entgegenzusetzen. Viele dieser Projekte beruhen auf Eigeninitiative und ehrenamtlicher Tätigkeit bzw. sind selbst organisiert. Ob Erzeugergemeinschaft, Mitmach Supermarkt, Dorfladen oder Bauernmarkt, als Konsument:innen bieten sich verschiedene Möglichkeiten, Angebote zu nutzen, bei denen Lebensmittel ressourcenschonend produziert und vertrieben werden.
Die Beschaffenheit unseres Lebensmittel Systems ist komplex. Offenkundig sind wir an einem Punkt angelangt, wo auf vielen Ebenen Probleme bestehen. Gleichzeitig steigen Nachfrage und in weiterer Folge auch das Angebot von regionalen und Bioprodukten, die österreichische Landwirtschaft und die Supermärkte reagieren und passen ihre Angebote an. So ist der österreichische Biomarkt seit Jahren stabil und im EU-Vergleich bestens ausgebaut.
Land der Supermärkte
Österreich „Land der Supermärkte“ titeln zahlreiche Medien seit Jahren. Kein anderes EU-Land hat so viele Lebensmittelmärkte auf so kleiner Fläche wie Österreich. Im Vergleich zu Deutschland sei die Supermarktdichte auf 100.000 Einwohner:innen doppelt so hoch. So stehen in Österreich pro Kopf durchschnittlich 1,7m² Supermarktfläche zur Verfügung, in Wiener Neustadt sind es 6,8 m2 – in Wien noch immer 1,8 m2.
Und das ist im Landschafts- bzw. Straßenbild sichtbar, zumindest in Wien, wo es an jeder Ecke einen Supermarkt gibt. Auch, wer sich Einkaufen am Land romantisch vorstellt, wird – angekommen auf dem Parkplatz eines Supermarktes, errichtet auf der grünen Wiese – eher enttäuscht sein. Mit dieser Entwicklung verbunden sind zahlreiche Nebeneffekte, die sich sichtbar und unsichtbar zeigen: Preiskampf, Bodenversiegelung, Druck auf die Landwirtschaft, “Greisslersterben”, Verdrängung von Dorfläden etc.
Dorfläden sind in vielen Dörfern die letzten Begegnungsorte, da immer mehr Metzger oder Postfilialen zusperren.
Karlheinz Marent, Verein Dorfleben
Als „Donut-Effekt“ bezeichnet man das Phänomen sich leerender Orts- und Stadtkerne bei gleichzeitigem Wachstum in Siedlungsrandlage. Wenn wichtige Infrastruktur an die Ortsränder wandert, während die Ortszentren verwaisen, führt dies auch zu einem höheren Verkehrsaufkommen. In Bayern wird dem entgegengewirkt – mit Förderungen für Gemeinden, die sich auf die Innenentwicklung konzentrieren.
Auf der grünen Wiese
Österreich ist das EU-Land mit der größten Supermarktfläche pro Kopf. Wer wirkt dem Vormarsch von Rewe, Spar, Hofer und anderen Supermärkten auf der grünen Wiese entgegen? Und wie kann das in Zukunft geschehen?
Trotz der Dichte des Filialnetzes expandierten die Ketten in den vergangenen Jahren massiv und meist am Ortsrand, denn: Der ideale Standort für neue Supermärkte liegt an einer Hauptverkehrsachse, lässt sich mit Sattelschleppern beliefern, hat mindestens 1.000 Quadratmeter Verkaufsfläche und 80 ebenerdige Parkplätze, wie eine Studie aus dem Jahr 2018 zeigt. Solche Flächen gibt es selten in Ortszentren. Darum entstehen Märkte “auf der grünen Wiese”. Sie stehen oft alleine, sind nicht überbaut.
Nur zehn der derzeit 253 Lidl-Filialen werden doppelt genutzt. Bei den Spar-Standorten sind es rund 625 aus 1.560. Hofer und Rewe beantworten die Anfrage danach nicht. Hofer, Billa und Lidl betreiben zudem hunderte Filialen in Fachmarkt-Agglomerationen. Nah&Frisch gibt immerhin an, rund 95 Prozent der Märkte in bestehender Bausubstanz zu betreiben. Doch diese, meist zentral gelegenen Standorte, sind nur ein kleiner Teil des konzentrierten Marktes.
Ein laufender Verdrängungswettbewerb, bei dem in den vergangenen Jahren jene mit mehr Märkten die Nase vorne hatten. Denn die Margen der Produkte sind klein, der Umsatz steigt meist mit der Verkaufsfläche. Wie viel Fläche die “Big Four” unter ihren Märkten versiegelt haben, beantwortet aber keiner von ihnen.
Betonharte Fakten
Zu den betonharten Fakten gehört, dass Österreich nicht nur Europameister der Supermarktdichte, sondern auch der Bodenversiegelung ist.
18 Prozent der bebau- und beackerbaren Staatsfläche sind mit Gebäuden, Straßen, Freizeitanlagen und Ähnlichem überzogen, im Schnitt der Jahre 2017 bis 2020 wurden täglich rund 11,5 Hektar verbraucht. Das sind über 40 km2 produktiver Boden, eine Fläche fast so groß wie Eisenstadt. Etwa 40 Prozent davon werden mit Asphalt oder Beton versiegelt.
In den letzten zwanzig Jahren hat die Versiegelung fast dreimal schneller zugenommen als die Bevölkerung gewachsen ist. Ein großer Anteil entfällt auf das Straßennetz, das bereits das dichteste ganz Europas ist. Wer Straßen baut, erntet nicht nur Verkehr, sondern auch Lebensmitteleinzelhandelsmärkte.
Der Zusammenhang zwischen den zahlreichen „auf der grünen Wiese“ errichteten Filialen der großen Supermarktketten und dem hohen Bodenverbrauch liegt auf der Hand. Was muss passieren, um die für unser Klima so wichtigen Grünflächen zu sichern?
Grünlandbereiche schützen und für eine kompakte Siedlungsentwicklung sorgen, sagt Arthur Kanonier, Forschungsleiter für Bodenpolitik und Bodenmanagement an der TU Wien. Das ginge mit Siedlungsgrenzen, die nicht überschritten werden dürfen. Schützt man außen Flächen, muss man aber innen nachverdichten. “Das ist äußerst anspruchsvoll”, sagt Kanonier. Schließlich werden Flächen auch für andere Zwecke gebraucht, etwa für leistbaren Wohnraum. Und so mancher Bezirk ist ohnehin schon dicht bebaut und zersiedelt.
Maximal 2,5 Hektar pro Tag
Laut Regierungsprogramm sollen im Jahr 2030 maximal 2,5 Hektar Boden pro Tag neu beansprucht werden. Ein Ziel, das wie Wunschdenken wirkt. 2020 waren es alleine in der Steiermark 3,3 Hektar täglich.
“2,5 Hektar am Tag sind 912 Hektar pro Jahr. Auf einen Hektar Bauland passen etwa zehn bis zwölf Einfamilienhäuser, also insgesamt 11.000 Einfamilienhäuser pro Jahr. Aufgeteilt auf circa 2.000 Gemeinden sind das pro Jahr und Gemeinde fünf Einfamilienhäuser. Oder 1,3 Gewerbebetriebe. Das ist nicht wahnsinnig viel,” erklärt Gernot Stöglehner, Leiter des Raumplanungs-Instituts an der Universität für Bodenkultur Wien.
Jede Fläche gut nutzen & (re-) aktivieren
Kommen wir zu einer wichtigen Frage: Müsste überhaupt noch neu versiegelt werden? Schließlich stehen 40.000 Hektar Betriebsflächen und Gebäude leer. Das sind circa 3.000 bis 6.000 Grundstücke.
Eine Lösung für die Verwendung solcher Flächen gibt es zum Beispiel in Slowenien: Dort wird seit 2015 an der Erfassung sogenannter „funktionell degradierter Gebiete“ gearbeitet, Leerstände werden digital und vor Ort erfasst und in einer Datenbank zusammengeführt. Bürgermeister:innen können die Leerstände online eintragen. Die Ausbeute: 1.170 Objekte mit einer Fläche von 3.750 Hektar, die bald in Sloweniens räumlichem Informationssystem aufscheinen sollen.
Brachflächenrecycling, Entsiegelung, Leerstandsmanagement – das sind riesige Tanker, die alle gleichzeitig in Bewegung gesetzt werden müssen.
Arthur Kanonier, TU Wien
“Bodensparen, der sparsame Umgang mit dieser endlichen Ressource – das ist in der Bevölkerung angekommen. Auf einmal gibt es einen gewissen Widerstand“, merkt auch Arthur Kanonier. Auch die Zivilgesellschaft will einen besseren Umgang mit unseren Böden. So meinen 82 Prozent der Befragten einer vom WWF beauftragten Studie, dass die Politik zu wenig gegen den Bodenverbrauch tue. Dabei könnte sie das schon längst, meint Altbürgermeister Josef Mathis aus dem “Ländle”. Aber auch die Zivilgesellschaft, also jede:r Einzelne habe Einfluss:
Wenn man nichts macht, ist man machtlos. Wenn man etwas macht, dann nicht.
Josef Mathis, Altbürgermeister
Der Text basiert auf den Recherchen dieser Artikel:
Die wichtigen Gesellschaftsthemen sind relevant.
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