Boden gut machen
Wir verbrauchen unser Land hektarweise. Dabei brauchen wir unsere Böden jetzt mehr denn je. Was muss passieren?
“Jetzt zeige ich Ihnen ein Kuriosum”, sagt Karl Rudischer. Kurz flackert es, dann geben die Deckenlampen den Blick auf elf Autos frei. Sie wirken verloren in der großen Tiefgarage des Einkaufszentrums unweit von Mürzzuschlag, wo Rudischer Bürgermeister ist. Rechtlich muss das “MürzCenter” die Tiefgarage haben, auch wenn sie kaum genutzt wird. Irreführende Baupläne, ein Gang vor den Verfassungsgerichtshof und Verwaltungsstrafen für den Betreiber: Der Bau des Einkaufszentrums beschäftigt ihn schon lange. Es besitzt mehr Verkaufsfläche, als es dürfte. Nun ist zusätzlich ein Gartencenter eingemietet. Das Problem wurde umgangen.
Noch mehr ärgert Rudischer, wie stark außerhalb seiner Gemeinde versiegelt wird. Die Baustelle eines Eurospar, ein weiterer Spar, ein Hofer, ein Lidl, ein Billa, ein Penny und ein Billa Plus: Sieben Märkte ziehen in nur fünf Minuten am Autofenster vorbei.
Rechtlich durften die Märkte auf diesen Flächen bauen. Niemand hat gefragt, ob ich das will.
Bürgermeister Rudischer
Gleichzeitig bleiben im Ortsinneren immer mehr Schaufenster leer. Ein Unimarkt ist der einzige Nahversorger im Zentrum der 8.000-Einwohner -Gemeinde. Damit ist der Ort nicht allein. Von Seiersberg bis Eggenburg, von Parndorf bis Mieming verschwinden Flächen unter Einkaufszentren und Supermärkten, während die Innenstädte sich leeren. Raumplaner:innen nennen diese wenig appetitliche Entwicklung den Donut-Effekt.
Wie lässt er sich eindämmen? Antworten finden wir bei unseren Nachbarländern im Süden, Westen und Norden. Aber auch ein Blick in die Vergangenheit zeigt, wie Österreich Boden gut machen könnte. Denn die Zeit drängt. Die Klima- und Biodiversitätskrise macht klar, wie wertvoll jeder Hektar Boden ist. Expert:innen ordnen für uns ein und schlagen Lösungen vor. Bevor wir diese unter die Lupe nehmen, wagen wir aber eine Bestandsaufnahme des heimischen Bodenverbrauchs am Beispiel von Supermärkten.
Asphalt und Beton statt Wiesen und Äcker
Kein anderes Land verbraucht im Verhältnis zu seiner Fläche so viel Boden wie unsere kleine Alpenrepublik.
Die betonharten Fakten:
- 18 Prozent der bebau- und beackerbaren Staatsfläche sind mit Gebäuden, Straßen, Freizeitanlagen und Ähnlichem überzogen.
- Im Schnitt der Jahre 2017 bis 2020 wurden täglich rund 11,5 Hektar verbraucht.
- Das sind über 40 km2 produktiver Boden, eine Fläche fast so groß wie Eisenstadt.
- Etwa 40 Prozent davon werden mit Asphalt oder Beton versiegelt.
In den letzten zwanzig Jahren hat die Versiegelung fast dreimal schneller zugenommen als die Bevölkerung gewachsen ist. Ein großer Anteil entfällt auf das Straßennetz, das bereits das dichteste ganz Europas ist. Wer Straßen baut, erntet nicht nur Verkehr, sondern auch Lebensmitteleinzelhandelsmärkte. Dabei hat schon heute kein anderes EU-Land so viele davon auf so kleiner Fläche.
Auf jede:n Österreicher:in kommen 1,7 m2 Verkaufsfläche. Fast die Hälfte der 5.300 Märkte sind Supermärkte, haben also 500 Quadratmeter Verkaufsfläche oder mehr. 90 Prozent der Österreicher:innen können in weniger als 15 Minuten eine Hofer-Filiale erreichen, teilt der Konzern mit. Unerwünschter Nebeneffekt: je mehr Märkte, desto teurer. Österreich hat EU-weit die dritthöchsten Lebensmittelpreise.
Trotz dieser Dichte expandierten die Ketten in den vergangenen Jahren massiv und meist am Ortsrand, denn: Der ideale Standort für neue Supermärkte liegt an einer Hauptverkehrsachse, lässt sich mit Sattelschleppern beliefern, hat mindestens 1.000 Quadratmeter Verkaufsfläche und 80 ebenerdige Parkplätze, wie eine Studie aus dem Jahr 2018 zeigt.
Solche Flächen gibt es selten in Ortszentren. Darum entstehen Märkte “auf der grünen Wiese”. Sie stehen oft alleine, sind nicht überbaut. Nur zehn der derzeit 253 Lidl-Filialen werden doppelt genutzt. Bei den Spar-Standorten sind es rund 625 aus 1.560. Hofer und Rewe beantworten die Anfrage danach nicht. Hofer, Billa und Lidl betreiben zudem hunderte Filialen in Fachmarkt-Agglomerationen. Nah&Frisch gibt immerhin an, rund 95 Prozent der Märkte in bestehender Bausubstanz zu betreiben. Doch diese, meist zentral gelegenen Standorte, sind nur ein kleiner Teil des konzentrierten Marktes.
Über 93 Prozent davon beherrschen Rewe, Spar, Hofer und Lidl. Ein laufender Verdrängungswettbewerb, bei dem in den vergangenen Jahren jene mit mehr Märkten die Nase vorne hatten. Denn die Margen der Produkte sind klein, der Umsatz steigt meist mit der Verkaufsfläche. Wie viel Fläche die “Big Four” unter ihren Märkten versiegelt haben, beantwortet aber keiner von ihnen.
Ein Ziel ohne Weg
Laut Regierungsprogramm sollen im Jahr 2030 maximal 2,5 Hektar Boden pro Tag neu beansprucht werden. Ein Ziel, das wie Wunschdenken wirkt. 2020 waren es alleine in der Steiermark 3,3 Hektar täglich. Im Burgenland, Nieder- und Oberösterreich stieg der Flächenverbrauch wieder an.
“2,5 Hektar am Tag sind 912 Hektar pro Jahr. Auf einen Hektar Bauland passen etwa zehn bis zwölf Einfamilienhäuser, also insgesamt 11.000 Einfamilienhäuser pro Jahr. Aufgeteilt auf circa 2.000 Gemeinden sind das pro Jahr und Gemeinde fünf Einfamilienhäuser. Oder 1,3 Gewerbebetriebe. Das ist nicht wahnsinnig viel,” erklärt Gernot Stöglehner.
Der Leiter des Raumplanungs-Instituts an der Universität für Bodenkultur Wien (BOKU) beschäftigt sich seit Jahrzehnten mit dem heimischen Bodenverbrauch und mit Lösungen, um diesen einzudämmen. Denn derer gibt es viele. Vordenker:innen und Expert:innen ebenso – etwa einen Altbürgermeister aus dem “Ländle”.
Von Vorreitern und Vorrangflächen
Aktuell gibt es viele Mechanismen, die es leicht machen, bisher ungenutzte Flächen zu versiegeln. Im Übermaß sind sie als Bauland oder Bauerwartungsland gewidmet, oft als Relikt aus der Vergangenheit. 113.000 Hektar Ackerland und fast ebenso viele Hektar Grünland waren es im Jahr 2016. Bis 2050 könnten es laut Umweltbundesamt jeweils rund 170.000 Hektar sein. Weil ihr Wert steigt, werden Bauland-Flächen eher gehortet statt verkauft, obwohl fast ein Fünftel davon nie bebaut wird.
Josef Mathis inspirierte dieser sogenannte “Baulandüberhang” vor Jahrzehnten zu einer strittigen Maßnahme. Der heute 71-Jährige setzt sich mit der Initiative “vau hoch drei” für eine gemeinwohlorientierte Raumordnung ein, brachte sich etwa bei der Novellierung des Vorarlberger Raumplanungsgesetzes und Grundverkehrsgesetzes ein. Davor war er Bürgermeister der kleinen Vorarlberger Gemeinde Zwischenwasser.
Wenn wir über konsequenten Bodenschutz reden, müssen wir auch über Rückwidmungen reden.
Josef Mathis
In deren Flächenwidmungsplänen, erzählt Mathis heute, wurde viel mehr Fläche als “Bauerwartungsland”, “Bauland” und “Ferienwohngebiet” ausgewiesen, als die Gemeinde je hätte brauchen können. Dank der Initiative widmete der Gemeinderat in den darauffolgenden Jahren insgesamt 17 Hektar zurück in landwirtschaftliche Flächen.
“Wir haben da auch ausgetestet, wie das politisch auszuhalten ist”, sagt Mathis. Bis zum heutigen Tag seien ihm Menschen böse. Wenn man seine Gemeinde langfristig entwickeln will, muss man das aber aushalten, sagt er im Rückblick. Heute wäre die Rückwidmung rechtlich schwierig und für Gemeinden finanziell fast unmöglich, weil sie den Wertverlust entschädigen müssten. “Das kann keine Gemeinde leisten,” sagt Mathis. Zudem sei der Eingriff in das Grundrecht auf Eigentum heikel. Dennoch: „Wenn wir über konsequenten Bodenschutz reden, müssen wir auch über Rückwidmungen reden“, sagt einer, der es wissen muss.
Flächen schlau schützen
Schauplatzwechsel: Wir treffen Arthur Kanonier in seinem Büro an der Technischen Universität Wien (TU). Auf einem Board hinter ihm bilden Ausdrucke von Zeitungsberichten und Konferenzpapiere ein buntes Mosaik. Kanonier leitet den Forschungsbereich Bodenpolitik und Bodenmanagement. Was sind aus seiner Sicht die effektivsten Hebel, um wichtigen Boden zu schützen?
Kanonier nennt als erstes eine Kategorie, die in der Raumordnung öfter nachrangig behandelt wird: das Grünland. “Wir brauchen diese Flächen, weil sie Funktionen für die Ernährungssicherheit erfüllen, weil sie Kaltluftschneisen sind, Biodiversität erhalten oder uns vor Naturgefahren schützen”, erklärt er. Solchen Grünlandbereichen das öffentliche Interesse zu widmen und sie zu schützen, wäre ein erster, wichtiger Schritt.
Wir brauchen diese Flächen, weil sie Funktionen für die Ernährungssicherheit erfüllen, weil sie Kaltluftschneisen sind, Biodiversität erhalten oder uns vor Naturgefahren schützen.
Arthur Kanonier
Der zweite? Kompakte Siedlungsentwicklung. Das ginge mit Siedlungsgrenzen, die nicht überschritten werden dürfen. Schützt man außen Flächen, muss man aber innen nachverdichten. “Das ist äußerst anspruchsvoll”, sagt Kanonier. Schließlich werden Flächen auch für andere Zwecke gebraucht, etwa für leistbaren Wohnraum. Und so mancher Bezirk ist ohnehin schon dicht bebaut und zersiedelt.
Hebel gibt es also reichlich, Hürden ebenso. Lassen sie sich in der komplexen heimischen Raumordnung überwinden?
Ein Bodenschutzplan für Österreich
Bei unseren Nachbarn in der Schweiz sieht Arthur Kanonier vorteilhaftere Strukturen. Der Bund hat klar zugewiesene Kompetenzen: Kantone müssen Rahmenpläne erstellen, an die sich die Gemeinden zu halten haben. In Österreich gibt es hingegen – anders als in den meisten europäischen Ländern – kein eigenes Bundesamt für Raumplanung. Die Bundesländer geben per Raumordnungsgesetz die Spielregeln vor, die Flächenwidmung liegt aber bei den Gemeinden.
Zusätzlich arbeitet die Österreichische Raumordnungskonferenz (ÖROK) an raumplanerischen Themen. Sie vernetzt die Gebietskörperschaften und alle Sozialpartner. Diese müssen nach dem Einstimmigkeitsprinzip über die wichtigsten Themen in der Raumordnung abstimmen. Eine komplexe Aufgabe, schließlich wollen etwa Klimaschutzministerium, Landwirtschaftskammer und Industriellenvereinigung unterschiedliche Dinge vom heimischen Boden. Auch deshalb bringen sich Expert:innen wie Arthur Kanonier in beratender Rolle ein.
Es sollte gesamtstaatlich überlegt werden, was die wichtigsten Maßnahmen sind.
Arthur Kanonier
Aktuell arbeitet die ÖROK im Auftrag des Landwirtschaftsministeriums an der österreichischen Bodenstrategie. Ende des ersten Quartals 2023 soll sie mit Verspätung fertig sein. Die Umsetzung könnte allerdings schwierig werden: “Als Plattform ist die ÖROK wichtig, aber sie ist kein Entscheidungsgremium. Es sollte gesamtstaatlich überlegt werden, was die wichtigsten Maßnahmen sind. Die Probleme haben sich so verschärft, dass man sich überlegen muss, ob die festgelegten Raumplanungs-Kompetenzen noch die richtigen sind”, so TU-Professor Kanonier. Wolle man das 2,5-Hektar-Ziel nur durch die föderal zugeschriebenen Kompetenzen auf Landesebene erreichen, stosse Österreich an seine Grenzen. Auch die Anpassung an Klimafolgen könne eventuell besser in Bundeskompetenz geregelt werden, merkt Kanonier an.
Die fachliche Komplexität ist sehr hoch. Das Naheverhältnis zu Entscheidungsträgern ebenso.
Arthur Kanonier
Aktuell planen rund 2.100 Gemeinden ihre eigene Raumordnung. Viele haben geringe finanzielle Mittel und zu wenig Mitarbeitende, um die Aufgabe nachhaltig zu meistern. “Die fachliche Komplexität ist sehr hoch. Das Naheverhältnis zu Entscheidungsträgern ebenso”, sagt Kanonier. Dass parteipolitisch besetzte Gremien über Fachfragen entscheiden, könnte man deshalb hinterfragen. Auch in der öffentlichen Debatte wird gefordert, den Gemeinden die Widmungskompetenzen zu entziehen und an die Länder zu übergeben. Doch würde das die Versiegelung stoppen?
“Ich weiß nicht, ob das das Prinzip der Expansion ändern kann”, meint Karl Rudischer. Er kennt die Problematik von beiden Seiten – als Bürgermeister und als Architekt, dessen Planungsbüro auch Supermarkt-Projekte umgesetzt hat. „Die Expansionsverantwortlichen der Konzerne kennen das Gebiet meist besser als man selbst.
Wenn die Raumordnungs-Voraussetzungen einmal erfüllt sind, kann man schwer gegensteuern“, erzählt er. Die Menschen, die sich um die Expansion der Märkte kümmern, sind in Kontakt mit den Eigentümern. Sie umwerben bei attraktiven Standorten auch den Gemeinderat. “Wäre die Raumordnung Landeskompetenz, würden die Konzerne eben die Verantwortlichen dort ansprechen und versuchen, Projekte umzusetzen”, schätzt Rudischer.
Wenn die Raumordnungs-Voraussetzungen einmal erfüllt sind, kann man schwer gegensteuern.
Karl Rudischer
Aber was sagt die Bundesregierung zur Kritik an den geltenden Raumordnungskompetenzen? “Kein Anpassungserfordernis” sieht man im Landwirtschaftsministerium, unter dessen Federführung derzeit die Bodenschutzstrategie ausgearbeitet wird. Man verweist auf die ÖROK, welche die Koordination zwischen Bund, Ländern und Gemeinden erleichtern solle.
Das Klimaschutzministerium betont, dass ohne 2/3-Mehrheit im National- und Bundesrat nicht an den bestehenden föderalen Strukturen gerüttelt werden könne. Mangels verfassungsrechtlicher Zuständigkeit wolle man deshalb bundesweit auf Anreize zum Bodensparen setzen – also etwa auf Netzwerke und Förderungen. Derweilen wünschen sich 59 Prozent der Befragten in einer Studie im Auftrag des WWF, dass Widmungen bei Land oder Bund liegen, nicht mehr bei den Gemeinden.
Gemeinsam statt einsam
Raumplanungsexperte Arthur Kanonier sieht auch viel Potenzial in überörtlichen Raumordnungsprogrammen. Bei diesen legen Länder Maßnahmen und Ziele für gewisse Gebiete fest. Die Gemeinden müssen sie berücksichtigen, wenn sie etwa am Flächenwidmungsplan arbeiten. Zudem könnte so die Kooperation zwischen Gemeinden gestärkt werden. „Vor allem bei überörtlichen Siedlungsgrenzen, Grünzonen oder Vorgaben für Großprojekte ist die überörtliche Raumplanung gefordert. Sie ist für Gemeinden verbindlich und gerade deshalb so wirkungsvoll“, sagt Kanonier.
Es gibt in Österreich einen Wildwuchs an unterschiedlichen Plandokumenten.
Arthur Kanonier
Mancherorts passiert das schon. So gibt es etwa im Vorarlberger Walgau und Vorderland regionale räumliche Entwicklungskonzepte. Bis Ende 2022 müssen alle Regionen dem Land Vorarlberg solche Pläne vorlegen. Die Regionen Kummerberg und Vorderberg haben zudem jeweils einen Raumplaner angestellt, der bei Planungen hilft.
In vielen anderen Bundesländern und Regionen gibt es große Lücken. Manche Programme sind älter, andere weniger restriktiv. “Es gibt in Österreich einen Wildwuchs an unterschiedlichen Plandokumenten”, bringt es Kanonier auf den Punkt.
Zertifizieren statt kooperieren
Einige Gemeinden haben einen höheren Flächenbedarf, weil ihre Bevölkerung wächst. Andere bräuchten theoretisch weniger Fläche. Wie könnte man dies nutzen? BOKU-Experte Stöglehner bringt hier sogenannte “Flächenzertifikate” ins Spiel:
Eine Gemeinde hat Bauland, braucht es aber nicht, widmet es zurück und erhält dafür Zertifikate, die sie mit anderen Gemeinden handeln kann.
Gernot Stöglehner
So könne etwa das bevölkerungsmäßig schrumpfende Waldviertel Flächenzertifikate an wachsende Gemeinden verkaufen. Die große Frage hinter diesem Lösungsweg bleibt: Wie kann man Flächen fair aufteilen?
“Um Flächenzertifikate zu vergeben, brauche ich Flächenkontingente. Dass sich die Länder auf einen Verteilungsschlüssel einigen, sehe ich heikel. Ob man diese unter den Gemeinden handeln kann, sehe ich skeptisch”, sagt Bodenpolitik-Experte Kanonier. Er plädiert für eine Kombination mehrerer Maßnahmen. Mit einer Erweiterung von überörtlichen Planungen sowie gesetzlichen Vorgaben könnte man den Rahmen für Gemeinden enger machen – und sie so beim Flächensparen unterstützen.
Warum wir unseren Boden schützen müssen
Aber warum sollten Gemeinden das tun? Aufgrund der Klima- und Biodiversitätskrise gebe es reichlich Gründe, sagt Stadtklimatologe Simon Tschannett. Er ist Meteorologe beim Beratungsunternehmen Weatherpark und Vorstandsmitglied des Klimaforschungsnetzwerks CCCA. Die hohen Temperaturen rund um Parkplätze seien etwa für die Gesundheit gefährlich, erklärt der Experte:
“Versiegelte Flächen erhitzen sich rascher und stärker auf bis zu 70 Grad. Nachts kühlt es deshalb weniger ab. Das stört den erholsamen Nachtschlaf.” Einkaufszentren und Supermärkte sind zudem weder Lebensraum noch Anbaufläche. Auf ihren Parkplätzen wächst kein Weizen, leben kaum Bestäuber oder Wildtiere.
Schon heute kann sich Österreich mit einigen Kulturpflanzen wie Raps und Soja nicht mehr selbst versorgen. Bis 2050 könnten über 300.000 Hektar landwirtschaftlicher Fläche zusätzlich verloren gehen, wie eine Studie im Auftrag der AGES zeigt. Schuld daran: die hohe Versiegelung und Verbauung. Selbst Weizen und Kartoffeln müssten dann importiert werden.
5 Folgen von Bodenversiegelung:
Wer versiegelt, schafft sich zudem ein weiteres Problem: Ist erstmal zubetoniert, kann kein Wasser abfließen. Die Überflutungsgefahr steigt. Besonders stark getroffen hat es dieses Jahr das Rheintal: überschwemmte Straßen, überflutete Keller, Feuerwehreinsätze rund um die Uhr. Es war bereits das zweite Jahrhunderthochwasser in Vorarlberg seit 2005. Verletzt wurde niemand. Hätte man seit damals nicht rund 450 Millionen Euro in den Hochwasserschutz investiert, wäre es wohl zu einer Katastrophe gekommen, erklärte die Landesregierung.
Stadtklimatologe Tschannett sieht in den Maßnahmen aber nicht viel mehr als Symptombekämpfung. Er fordert ein besseres Unwetterverständnis, denn die immensen Regenfälle seien keineswegs unvorhersehbar gewesen. “Durch den Klimawandel kommen Starkregenereignisse häufiger vor”, erklärt er.
- Zur Erinnerung: Die Erde hat sich bereits um 1,15 Grad Celsius erhitzt, mit den aktuellen politischen Maßnahmen steuern wir auf 2,8 Grad zu.
- Je wärmer es wird, desto mehr Wasser kann von der Luft aufgenommen werden.
- Pro Grad Erwärmung werden Starkregenfälle so um durchschnittlich sieben Prozent heftiger.
Die Betonung liegt auf „durchschnittlich“, denn durch die Erderwärmung werden vor allem extreme Hitzetage häufiger, und an solchen könnte der Niederschlag noch um einiges stärker ausfallen. Für Österreich bedeutet das aufgrund der geographischen Lage eine fast doppelt so starke Zunahme. Klimaszenarien, die im Auftrag des damaligen Ministeriums für ein Lebenswertes Österreich (heute Klimaschutzministerium) 2015 entwickelt wurden, gehen von bis zu 7 Grad mehr bis zum Ende des Jahrhunderts aus.
Wie könnte man den so wichtigen Boden also schützen? Eine Möglichkeit wäre, landwirtschaftliche Vorrangflächen auszuweisen. Also Böden, die weder als Bauland genutzt oder als solches gewidmet werden, dafür aber teils als Rückhaltebecken bei Hochwassern dienen. Eine Idee, die konkreter wird. Aktuell erarbeitet der Fachbeirat für Bodenfruchtbarkeit und Bodenschutz Grundlagen, um solche Flächen in Zukunft auszuweisen, teilt das Landwirtschaftsministerium mit.
29 Gemeinden diskutieren über regionale Raumplanung
Richten wir unser Augenmerk nun auf das Vorarlberger Rheintal. Dort ist man schon einen Schritt weiter, was die regionale Raumordnung anbelangt. 2001 startete “Vision Rheintal” – ein Projekt, das 29 Gemeinden an einen Tisch brachte, wie Projektleiter Martin Assmann erklärt.
In den ersten beiden Jahren erarbeiteten die Teilnehmenden ein räumliches Leitbild. „Land und Gemeinden wurden dazu verpflichtet, es als handlungsanweisende Richtschnur heranzuziehen”, sagt Assmann. Es gebe beispielsweise konkrete Anforderungen für Siedlungsgrenzen, zudem müssen Verkehr und Siedlungsentwicklung aufeinander abgestimmt werden.
Neue publikumsintensive Großstrukturen – also Einkaufszentren, Großkinos oder auch Diskotheken – sollen nicht mehr an und außerhalb von Siedlungsrändern errichtet werden. Aber was hat die “Vision Rheintal” konkret gebracht?
Auch wenn nicht immer ein direkter Zusammenhang erkennbar ist, so konnte sie in vielen Bereichen wichtige Impulse geben, die dann von Land und Gemeinden aufgegriffen wurden.
Martin Assmann
Beispielsweise wurde im Vorarlberger Raumplanungsgesetz festgeschrieben, dass die Siedlungsränder nicht weiter ausgedehnt werden dürfen. Gleichzeitig sollen Ortszentren erhalten und in ihrer Funktion gestärkt werden.
Auch die Festlegung der „Blauzone“ fällt in diese Zeit. Mit dieser Verordnung wurde ein großräumiger Hochwasserkorridor sichergestellt, der von einer Bebauung freizuhalten ist. Eine wichtige Maßnahme, wie das heurige Jahrhunderthochwasser im Rheintal gezeigt hat.
Seit 2021 wird das Projekt in sogenannten Kooperationsräumen fortgeführt. Dort arbeiten Gemeinden in kleineren Einheiten, um eine bedarfsgerechte, gemeindeübergreifende Raumplanung sicherzustellen.
Geld schafft an
“Die Gemeinden sollten sich zusammensetzen und überlegen, was passieren soll”, sagt auch Bodenpolitik-Experte Kanonier. Überörtliche Planungen stehen und fallen aber mit kooperativen Gemeinderäten. Deshalb fordert Altbürgermeister Josef Mathis ein Umdenken bei Bürgermeister:innen und Gemeinderät:innen. Er nennt das “die Kirchtürme in den Köpfen abrasieren.”
Doch wird das passieren? Kooperation könnte heißen, dass der neue Markt nicht in der eigenen, sondern in der Nachbargemeinde entsteht. Entscheidungen, die wohl kaum ein Gemeinderat treffen will. Allein deshalb, weil zu wachsen sich rechnet. Denn der Finanzausgleich zahlt pro Einwohner.
Von uns Bürgermeistern wird erwartet, dass wir wie Löwen für unsere eigene Gemeinde kämpfen.
Karl Rudischer
Siedelt sich ein Betrieb an, fließen zudem pro angemeldetem Dienstnehmer 0,8 Prozent von dessen Einkommen als Kommunalsteuer an die Gemeinde. Das summiert sich pro Vollzeitstelle auf rund 700 Euro, schätzt Bürgermeister Rudischer. „Kooperationen sind grundsätzlich möglich. Aber von uns Bürgermeistern wird auch erwartet, dass wir wie Löwen für unsere eigene Gemeinde kämpfen”, sagt er. Ein weiteres Problem: Um sich nachhaltig zu entwickeln, braucht eine Gemeinde Grundstücke, die aber oft in Privatbesitz sind. ”Man müsste den Gemeinden Geld bereitstellen, das an Grundstückssicherungen gebunden ist”, äußert er eine Vision.
Wo uns Slowenien hektarweit voraus ist
Kommen wir zu einer wichtigen Frage: Müsste überhaupt noch neu versiegelt werden? Schließlich stehen viele Standorte leer. „Brachflächenrecycling, Entsiegelung, Leerstandsmanagement – das sind riesige Tanker, die alle gleichzeitig in Bewegung gesetzt werden müssen”, sagt Arthur Kanonier. Lange standen sie im Hafen. Auch, weil man nicht wusste, welche Flächen wo leer stehen.
Brachflächenrecycling, Entsiegelung, Leerstandsmanagement – das sind riesige Tanker, die alle gleichzeitig in Bewegung gesetzt werden müssen.
Arthur Kanonier
Im Süden ist man hier schon weiter. Slowenien arbeitet seit 2015 an der Erfassung sogenannter „funktionell degradierter Gebiete“. Dafür hat man den Begriff definiert, Leerstände digital und vor Ort erfasst und in einer Datenbank zusammengefasst. Bürgermeister:innen können die Leerstände online eintragen. Die Ausbeute: 1.170 Objekte mit einer Fläche von 3.750 Hektar, die bald in Sloweniens räumlichem Informationssystem aufscheinen sollen.
Allerdings ist diese Schätzung des Umweltbundesamts schon fünf Jahre alt. Die ÖROK arbeite gerade an einer harmonisierten Datenbasis, die neben Leerständen auch den Flächenverbrauch insgesamt erfasst, heißt es aus dem Landwirtschaftsministerium. Aber:
Die Berücksichtigung des Leerstandes ist auf Grund von Datenschutzbestimmungen eine große Herausforderung.
Auch das Klimaschutzministerium sieht hier noch weiteren Abstimmungsbedarf. Eine gesamtstaatliche Lösung sei aufwändig, kostenintensiv und datenschutzrechtlich schwierig, teilt man mit. Datenbanken auf Landesebene seien aber durchaus sinnvoll. In mehreren Bundesländern wie Niederösterreich, Kärnten, Oberösterreich und Wien gibt es sie bereits – allerdings in sehr unterschiedlichen Ausführungen.
Der Gipfel der Hoffnung
In puncto Leerstandserhebung und -wiedernutzung setzt die Regierung auch große Hoffnung in den Brachflächendialog. Im Rahmen dessen laufen Facharbeitsgruppen, zudem sind Beratungsangebote geplant. Ein zentrales Element des Dialogs ist der Brachflächen-Gipfel. Hier trafen sich Mitte September dieses Jahres in einer ehemaligen Brotfabrik Vertreter:innen aus Politik und Wissenschaft, um über Gemeinde- und Ländergrenzen hinweg über Lösungen zu diskutieren. Unter ihnen auch Klimaschutzministerin Leonore Gewessler, die auf der Bühne betont:
“Bodenschutz ist Klimaschutz, ist Artenschutz, ist die Grundlage unserer Versorgung mit Lebensmitteln.”
Leonore Gewessler
Zu wissen, wo Gewerbeflächen leer stehen, ist aber nur der erste Schritt. Als nächstes müssen diese wieder aktiviert werden. Wie das gehen könnte, steht in einer ÖROK-Empfehlung aus dem Jahr 2016: etwa durch interkommunales Leerstandsmanagement und eine Prüfung der Leerstandsabgabe. Und, weil das Geld die Musik macht: durch finanzielle Förderung für jene, die Brachen wieder nutzen wollen.
Fördern statt Fordern
Anderswo fördert man bereits großzügiger. Das Land Bayern verbraucht relativ zu seiner Bevölkerung weniger Fläche als Österreich, hat aber auch weniger davon verfügbar.
Als Reaktion auf das bundesweite 20-Hektar-Ziel beschloss der Freistaat deshalb eine 5-Hektar-Grenze bis 2030. Maßnahmen sind etwa die Förderinitiative “Innen statt außen”. Geld daraus bekommen nur Gemeinden, die nicht am Ortsrand neu ausweisen.
Bei einer Zusage werden 60 bis 90 Prozent der Projektkosten erstattet. Das macht die Innenentwicklung finanziell interessant. Die Neuinanspruchnahme von Flächen ist im Jahr 2021 leicht gesunken. Um abzuschätzen, was die Förderinitiative bringt, fehlen aber noch Daten. Zudem gilt ab 2025 in Deutschland die Grundsteuer C: eine Grundsteuerkategorie für Leerstand, der dadurch höher besteuert wird als genutztes Bauland.
Was engagierte Bürgermeister:innen und verkaufswillige Eigentümer:innen bewirken könnten
Hunderte Kilometer weiter nördlich hat das Land Nordrhein-Westfalen eine andere Lösung gefunden, wie Heinz Weifels erzählt. Er ist Prokurist und Projektmanager der landeseigenen Gesellschaft NRW Urban. Deren Rechtsform als GmbH & CoKG ist zugleich eine der Besonderheiten: Programmideen des Landes für brachliegende Standorte können ohne Ausschreibeverfahren direkt entwickelt und umgesetzt werden.
Eine weitere Besonderheit?
Wir versuchen als neutraler Player ohne eigene wirtschaftliche Interessen die Eigentümer und Kommunen zu einem einvernehmlichen Nachnutzungskonzept zu bringen.
Heinz Weifels
Diese neutrale Rolle sei der Schlüssel zum Erfolg, das belegen auch zahlreiche Rückmeldungen.
Insgesamt 1.800 Hektar an Leerstand sind in das Landesprogramm aufgenommen und teilweise evaluiert worden. Für rund 500 Hektar konnten Nachnutzungen abgestimmt werden. “Unsere Rolle endet in der Regel bei der Aufklärung, wenn die Standortabschätzung durch unsere Fachleute fertig ist”, sagt Weifels.
Weiter im Süden, unweit von Regensburg, wählt man einen ähnlichen Ansatz. Seit drei Jahren erfasst der bayerische Landkreis Cham alle Leerstände, die die Gemeinden vermarkten können. 1.700 leerstehende Einfamilienhäuser und rund 4.000 Baulücken in den Ortskernen hat man kartiert, dazu 2.000 Häuser, die vom Leerstand bedroht sind.
Wer diese entwickeln oder bebauen will, wendet sich an Markus Lemberger. Er arbeitet als Regionalmanager im Landkreis. „Wir moderieren zwischen Bürgermeistern und Bauwilligen und informieren über Förderungen“, erklärt er. Pro Jahr kostet die Aktualisierung des Tools rund 100.000 Euro, großteils sind dies Personalkosten. Das Staatsministerium für Wirtschaft, Landesentwicklung und Energie fördert.
Förderungen für intensive Brachflächenaktivierung kann NRW Urban nicht anbieten, dafür sei zu wenig Geld da, aber man informiere die Eigentümer über Fördermöglichkeiten. Heinz Weifels ist jedenfalls überzeugt:
Absolut wichtig ist die Mitwirkungsbereitschaft der Eigentümer.
Heinz Weifels
Fläche verfügbar zu bekommen, gehe nur über diese. Auch der Chamer Regionalmanager Markus Lemberger weiß: Damit Flächen neu genutzt werden, braucht man Menschen, die er „Überzeugungstäter“ nennt, engagierte Bürgermeister:innen und verkaufswillige Eigentümer:innen. Denn das Recht auf Eigentum ist in Deutschland wie hierzulande ein gut gehütetes.
Was Geld bewegen könnte
Langsam macht auch Österreich Geld locker. Seit April 2022 erhalten Gemeinden, Unternehmen und Privatpersonen Förderungen, wenn sie Objekte und Flächen im Ortsgebiet neu nutzen wollen. Rund acht Millionen Euro stehen etwa für Konzepte und die Untersuchung des Untergrundes nach Altlasten zur Verfügung. Das Geld stammt aus dem „Aufbau- und Resilienzplan“ der EU.
Laut Klimaschutzministerium wurden bislang zwölf Ansuchen mit einem Fördervolumen von knapp 400.000 Euro eingereicht. Ein niedriger Wert, der bei einer erstmaligen Errichtung einer neuen Förderschiene nachvollziehbar sei, so das BMK. Für 2023 rechnet das Ministerium mit einer deutlich höheren Nachfrage. In manchen Bundesländern gibt es bereits Förderungen.
In Oberösterreich etwa werden Konzepte zur Nachnutzung von Brachen und Leerständen gefördert. Die Gelder – zweistellige Millionenbeträge – kommen vor allem aus den EU-Regionalförderungen. Die Nachfrage sei groß, so das Land Oberösterreich, aktuell würden acht Gemeindekooperativen aus je vier bis zehn Gemeinden an geförderten überörtlichen Konzepten arbeiten. Weitere 25 haben Ähnliches geplant.
Arthur Kanonier sieht solche Förderungen teils kritisch: “Warum man aus öffentlichen Mitteln rückbauen sollte, verstehe ich nicht ganz. Schließlich hat der Betreiber den Gewinn abgeschöpft”, so der TU-Experte. Warum zahlen also nicht jene, die etwa Supermärkte errichten, sie wenige Jahre nutzen und dann leer stehen lassen?
BOKU-Experte Gernot Stöglehner bringt hier eine sogenannte “Rückbaurücklage” ins Spiel. Also Geld, das der Errichter vor Baubeginn in einen Fonds einzahlt. Dies passiert mancherorts schon, bei Lebensmitteleinzelhandelsmärkten fehle so ein Instrument allerdings noch. Dabei hinterließen ihre Expansionen bereits Betonskelette in der Landschaft.
Arthur Kanonier schlägt deshalb vor, dass die Gemeinde den Betreiber vor der Widmung oder Umwidmung dazu verpflichten könnte, Nachnutzungskonzepte vorzulegen.
Auch Stöglehner kann dem Vorschlag viel abgewinnen – insbesondere für Einkaufs- und Logistikzentren sowie für Supermärkte “auf der grünen Wiese”. Entscheidend sei, wie gut das Konzept ist. “Je schwammiger und weniger wahrscheinlich die Umsetzung des Nachnutzungskonzeptes, desto höher müsste wiederum die Rückbaurücklage ausfallen”, sagt der Experte.
Wie die Supermärkte auf die Bodenversiegelung antworten
Damit sind wir am Ausgangspunkt der Recherche. Immer noch werden Supermärkte an Ortsrändern gebaut. “Die Supermärkte sind bestimmt keine Erfolgsgeschichte der heimischen Raumordnung”, sagt Bodenpolitik-Experte Kanonier diplomatisch. Dabei gibt es kaum eine Materie der Raumordnung, die dichter geregelt ist. Aber es bleiben Möglichkeiten, die Regeln zu umgehen oder aufzuweichen.
Mehrere Trends geben dennoch Hoffnung:
So wird Bodenschutz den Österreicher:innen immer wichtiger. Rund drei Viertel wollen laut einer repräsentativen Umfrage im Auftrag des WWF einen Bodenschutz-Vertrag mit verbindlicher Obergrenze für die Verbauung.
Darauf reagieren auch die “Big Four”, aber mit Mini-Schritten: etwa, indem Hofer nun rund zehn Filialen überbaut oder doppelt nutzt. Rewe hat in der kleinen Murtaler Gemeinde Obdach einen der “grünsten Supermärkte weltweit” errichtet: ein Neubau mit 600 m² Verkaufsfläche, 50 Parkplätzen, Fassadenbegrünung, Photovoltaikanlagen, Wildblumen und Insektenhotels.
Gebaut wurde allerdings wieder einmal “auf der grünen Wiese”. Dabei hätte es durchaus Pläne zur Expandierung des ursprünglichen Standorts im historischen Ortskern gegeben. Doch Rewe drohte, ganz aus dem Ort wegzuziehen, wenn nicht neu gebaut werden dürfe. Stadtklimatologe Tschannett fordert deshalb, dass solche Bauten auf der “grünen Wiese” nicht mehr als “grün” zertifiziert werden dürfen.
Einen großen Effekt könnten auch Trends wie Click-and-Collect und Online-Shopping haben. Sie lassen neue stationäre Märkte immer weniger sinnvoll erscheinen. Könnte das Hochziehen also ein Ende haben?
“Unsere Strategie geht nicht in die Richtung, in einem gesättigten Markt die Filialanzahl um jeden Preis noch weiter zu erhöhen. Das soll aber nicht bedeuten, dass wir unsere Augen nicht offenhalten, und Potenzial – sollten wir es erkennen – unter Berücksichtigung gewisser Faktoren, wie Lage, Einwohnerzahl oder Erreichbarkeit ganz genau prüfen,” schreibt der Hofer-Konzern.
Profitversprechende neue Märkte wird sich also dennoch keine der großen Ketten entgehen lassen, wie auch Expansionsbroschüren der Mitbewerber erahnen lassen. Spar betont, bestehende Märkte renovieren zu wollen: “Daher wird die Verkaufsfläche größer, aber die Anzahl der Märkte nur unwesentlich mehr.”
Nah&Frisch teilt hingegen mit, man will der Strategie, in bestehenden Immobilien in Ortszentren zu entwickeln, treu bleiben.
Im Burgenland könnte es ab Mai 2023 keine andere Möglichkeit mehr geben. Dann könnte eine Novelle des Raumplanungsgesetzes Supermarkt-Neubauten an Ortsrändern verbieten. Warum? „Unsere Analysen haben ergeben, dass wir eine hohe Versorgungssicherheit im Bereich der Einkaufszentren haben und es eigentlich nur mehr zu einem Verdrängungswettbewerb gekommen ist,“ zitiert orf.at den zuständigen Landesrat Heinrich Dorner.
Bürgermeister Rudischer befürchtet unterdessen, dass in zwei Jahrzehnten viele Supermärkte rund um Mürzzuschlag leer stehen könnten – selbst, wenn keine neuen mehr gebaut werden. Wie also könnte man das verhindern? Die Rückbaurücklage oder verpflichtende Konzepte zur Nachnutzung haben wir bereits kennengelernt. In Expertenkreisen kursiert zudem eine radikalere Maßnahme, sagt Arthur Kanonier:
Bauland zu widmen, sollte etwas kosten. Der Besitzer hat ja eine enorme Gewinnsteigerung.
Arthur Kanonier
Das gewonnene Geld könnte man in einen Bodenfonds einzahlen. Oder Ausgleichsmaßnahmen finanzieren, wie man es aus dem Natur- und Umweltschutz kennt. Das sind noch unkonventionelle Überlegungen, die aber viel Schlagkraft hätten.
Aus dem Klimaschutzministerium heißt es, man werde die Umweltverträglichkeitsprüfung für neue Projekte, die größere Flächen in Anspruch nehmen – etwa Industrie- und Gewerbeparks, Logistikzentren, Einkaufszentren und Parkplätze – entsprechend verschärfen.
Bürgermeister Rudischer meint hingegen, es gäbe schon genug Instrumente, man müsste sie nur ernster nehmen. Was er aber doch begrüßen würde, sei “eine gesetzliche Regelung, die Konzerne zum Rückbau verpflichtet.”
Macht durch Selbstermächtigung
Aktuell wartet Österreich auf die Bodenstrategie, in der solche Maßnahmen gesammelt werden. Interne Entwürfe, die etwa der Kleinen Zeitung vorliegen, listen 44 Maßnahmen auf. Darunter landwirtschaftliche Vorrangzonen und strengere Widmung für Bauland.
Was fehlt: das 2,5-Hektar-Ziel aus dem Regierungsprogramm. Es wurde durch “substanzielle Reduktion” ersetzt.
Am Zielwert werde aber weiterhin festgehalten, erklärt das Landwirtschaftsministerium auf Anfrage. Der Österreichische Biodiversitätsrat fordert unterdessen eine vollständige Trendumkehr. Seine Mitglieder – führende Expert:innen für Biodiversität – sehen grobe Mängel in der politischen Umsetzung. Nur die Zunahme einzuschränken, reiche angesichts der Klima- und Biodiversitätskrise nicht.
Die verfehlten Maßnahmen der Bundesregierung:
Gehen wir zurück nach Mürzzuschlag. Dort wird weiter versiegelt. Im Ortsteil Hönigsberg entsteht ein Eurospar mit 1.400 Quadratmetern Verkaufsfläche. “Die Spar-Gruppe wollte eine neue Filiale neben dem Hofer bauen, aber wir wollten nicht umwidmen”, sagt Bürgermeister Rudischer.
Stattdessen wurde die alte Spar-Filiale abgerissen, an deren Stelle wächst der neue Markt nun aus dem Boden. Vor zehn Jahren, so glaubt Karl Rudischer, hätte sich der Gemeinderat noch für eine Umwidmung – und damit für einen zusätzlichen Supermarkt – entschieden. “Es gab diesmal ein Bewusstsein bei den Gemeinderäten. Alle waren der Meinung, dass dies nicht gut ist“, sagt er.
“Bodensparen, der sparsame Umgang mit dieser endlichen Ressource – das ist in der Bevölkerung angekommen. Auf einmal gibt es einen gewissen Widerstand“, merkt auch Arthur Kanonier. Auch die Zivilgesellschaft will einen besseren Umgang mit unseren Böden, wie die Zahl 82 zeigt. So viel Prozent der Befragten einer Studie im Auftrag des WWF meinen, dass die Politik zu wenig gegen den Bodenverbrauch tut.
Dabei könnte sie das schon längst, meint Altbürgermeister Mathis.
Man kann den Menschen viel mehr zumuten, als man es als politisch Verantwortlicher glaubt. Wenn man gut erklärt, gut argumentiert und sich Zeit lässt für Entscheidungen, kann man den Menschen auch unangenehme Dinge vermitteln.
Altbürgermeister Mathis
Aber auch die Zivilgesellschaft, also jede:r Einzelne hat Einfluss, sagt der Vorreiter: “Die Bürger dürfen die Hände nicht in den Schoß legen. Wenn man nichts macht, ist man machtlos. Wenn man etwas macht, dann nicht.” Höchste Zeit also, Boden gut zu machen.
Willst du weiterlesen? In „Gemeinsam lokalen Ökostrom erzeugen und teilen“ erfährst du von einer klimafreundlichen Lösung gegen hohe Strompreise und internationale Abhängigkeit.
Die wichtigen Gesellschaftsthemen sind relevant.
- Keine Armut (5)
- Kein Hunger (1)
- Gesundheit & Wohlergehen (11)
- Hochwertige Bildung (11)
- Geschlechtergleichheit (13)
- Sauberes Wasser & Sanitäreinrichtungen (1)
- Bezahlbare & saubere Energie (2)
- Menschenwürdige Arbeit & Wirtschaftswachstum (8)
- Industrie, Innovation und Infrastruktur (7)
- Weniger Ungleichheiten (17)
- Nachhaltige Städte & Gemeinden (17)
- Nachhaltiger Konsum & Produktion (7)
- Massnahmen zum Klimaschutz (21)
- Leben unter Wasser (1)
- Leben am Land (12)
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- Partnerschaften zur Erreichung der Ziele (4)
5 Antworten zu „Boden gut machen“
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Ein unglaublich wichtiges Thema! Ich kenne es aus eigener Erfahrung als Anrainer und Bewohner eines kleinen Dorfes im Salzburger Land, indem in wilden Ausmaß und stur umgewidmet wird (5 Ha Grünland in Gewerbegebiet), weil der ansässige Großbetrieb ohne Rücksicht auf Verlusten unbedingt vor Ort wachsen will. Und das trotz unzulässiger Verkehrsanbindung für Großindustrie und großen negativen Folgen für Menschen und Tiere in der Umgebung.
Es wird von Synergien gesprochen, welche schwer nachvollziehbar sind, bei einer komplett neuen Produktionsart (die auch auf Bestandsraum woanders unter kommen könnte) nur um den sehr attraktiven Preis und diese Option zu nutzen (Nähe zu Eigentümer und Entscheidern im Gemeinderat sind unübersehbar).Es ist ehrlich gesagt unfassbar traurig, wie kurzfristig und engstirnig hier auf lokaler Ebene gedacht und agiert wird. Überall spricht man von Nachhaltigkeit und Klimaziele, Klimaschutz („Die armen Eisbären und Menschen nahe an den steigenden Meeren etc.“) und bei den Entscheidungen, die dann lokal und relevant getroffen werden, ignoriert man die Folgen aufgrund des Profits von einigen, wenigen Akteuren (Gewerbe/Industrie, Bürgermeistern, Grundbesitzern)!
Eine Bewegung hinsichtlich gesetzlicher Verantwortung weg von Bürgermeistern/Gemeinderäten hin zum Land und Staat sehe ich als unausweichlich, um das Problem in den Griff zu bekommen! -
Und dann geht das Verteidigungsministerium her und verlegt einfach eine Kaserne weg aus der Stadt mitten in den Wald. In Mistelbach. In NÖ. Überfallsartig. Knapp vor der Landtagswahl. Mit massiver Unterstützung der LH. Ohne den Gemeinderat zu informieren. In ein Gebiet, das weder infrastrukturmäßig noch straßentechnisch ausgebaut ist oder öffentlich erreichbar ist. Es ist zum Weinen.
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Liebe Johanna,
hier schreibt Laura Anninger, eine der Autoren dieses Artikels. Vielen Dank für deinen Kommentar und deine Schilderungen. Handelt es sich bei dem Beispiel das du beschreibst um die Adnetfelder?
Alles Liebe,
Laura -
Danke für die Aufklärung, diese Initiative und die Kare, ansprechende optische Aufbereitung des Themas Bodenversiegelung!
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Vielen Dank für das Feedback, liebe Caroline Seidler!
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