Gemeinsam lokalen Ökostrom erzeugen und teilen
Die ersten Pionierprojekte für Energiegemeinschaften stehen in den Startlöchern. Eine klimafreundliche Lösung gegen hohe Strompreise und internationale Abhängigkeit. Für die Mitglieder gibt es lokalen, preisgebundenen Strom aus erneuerbaren Quellen.
Franz Kok zeigt stolz auf den rechten Lauf des Almkanals an der Sinnhubstraße in der Stadt Salzburg. „Hier kommt die Wasserkraftschnecke im September hin“, sagt der Obmann der Ökostrom-Börse Salzburg, die das Projekt initiiert hat. Dort, wo sich der Almkanal, das älteste Wasser- und Energieversorgungssystem Mitteleuropas, in den Sinnhub- und den Müllnerarm teilt, soll nach 47 Jahren wieder ein Wasserkraftwerk entstehen.
Bei einer EEG schließen sich mehrere Menschen zu einer Gemeinschaft zusammen, um erneuerbare Energie regional zu erzeugen und zu konsumieren – und das zu einem günstigen Tarif. Das Kraftwerk Sinnhub wird bis zu 300.000 Kilowattstunden Ökostrom pro Jahr erzeugen. Damit können 200 Haushalte rund die Hälfte ihres Strombedarfs decken. Die Finanzierung der rund 800.000 Euro für die Errichtung des Kleinkraftwerks erfolgt durch verkaufte Beteiligungen.
30 Jahre Ökostrom mit einem Bezugsrecht
Personen werden Mitglieder, wenn sie in das Projekt investieren und für 4180 Euro ein Bezugsrecht erstehen. Damit könne das Mitglied dann bis zu 30 Jahre lang insgesamt maximal 45.000 Kilowattstunden Strom beziehen, der nicht den Preisschwankungen des Marktes unterliege, erklärt Franz Kok. Die Ökostrom-Börse, die seit Jahren Projekte für Ökostromanlagen entwickelt und begleitet, setzte damit ein wichtiges Zeichen für die Energiewende und den Klimaschutz, betont der Obmann.
Die Abwicklung der Stromverteilung erfolgt über einen Verein. Beziehen können den Strom aus der Nachbarschaft Salzburger:innen, die am Umspannwerk Hagenau hängen und über eine Smart Meter, also einen intelligenten Stromzähler, der digital Daten empfangen und senden kann, verfügen. Es gebe weit über 200 Interessent:innen für die Gemeinschaft, die klimafreundlichen Strom erzeugen wird, sagt Kok. Mit einem Drittel sei bereits ein Vertrag abgeschlossen, 160 Vertragsverfahren sind im Laufen.
Die kleine Wasserkraftschnecke, die den Strom für die Gemeinschaft liefern soll, ist nicht das erste Wasserkraftwerk im Almkanal. Es gibt bereits 17 Kraftwerke, da in dem Kanalsystem ideale Bedingungen für die Wasserkraft herrschen: 5.500 Liter Wasser pro Sekunde werden bei einer Wehranlage aus der Königsseeache abgeleitet und fließen konstant durch den Almkanal. Doch das Kleinkraftwerk Sinnhub wird das erste gemeinschaftlich genutzte.
160 Projekte in einem Jahr gestartet
In Zeiten von explodierenden Preisen für Strom und Gas, drohenden Engpässen und großen Schwankungen am Energiemarkt und der Klimakrise zieht es viele Stromkund:innen zu Alternativen. Mit Inkrafttreten des Erneuerbaren-Ausbau-Gesetzes im Juli 2021 sind die Möglichkeiten für Energiegemeinschaften vielfältiger geworden. Denn bisher konnte der erzeugte Strom aus erneuerbarer Energie nur innerhalb eines Gebäudes genutzt und der Überschuss ins Netz eingespeist werden. Nun ist es möglich, mit einer EEG den Strom auch innerhalb einer Gemeinde zum Erzeugerpreis und mit günstigeren Netztarifen zu verteilen.
Mit Stand Ende Juni 2022 sind zwischen 50 und 60 EEGs in Österreich in Betrieb. Knapp hundert weitere seien derzeit in Umsetzung und Konzeption, sagt Patrik Fuchs von der österreichischen Koordinationsstelle für Energiegemeinschaften. Die Serviceeinrichtung unterstützt seit September 2021 Interessierte bei der Planung von Projekten gemeinsam mit den regionalen Beratungsstellen in den Bundesländern. Genaue Zahlen, wie viele Projekte es in Österreich gibt, werden bis Ende des Jahres von der Regulierungsbehörde E-Control erhoben. Die meisten Energiegemeinschaften beziehen Strom aus Photovoltaikanlagen (PV), weitere Kleinwasserkraftwerke sind in Niederösterreich, Tirol und Kärnten in Planung und auch die Windenergie könne genutzt werden, sagt Fuchs.
Eine alleinige Lösung der Energiefrage darf man sich von Energiegemeinschaften nicht erwarten. „Es ist kein Konzept für die Vollversorgung, sondern stellt einen Teil der Energie bereit“, sagt Fuchs. Vor allem im Winter reichen etwa PV-Anlagen nicht aus, um den Bedarf zu decken, bei einigen Gemeinschaften ist auch nur der selbst nicht verbrauchte Überschuss eines Erzeugers zu beziehen. Die größte Herausforderung für neue EEGs sei die Gründung der Rechtsform sowie die Aufsetzung der Verträge, weiß Fuchs aus den Pionierprojekten. Auch Kok sieht die Konzeptentwicklung und Bürokratie als Hürde. „Die jungen, kleinen Pflanzen müssen sich hier in eine große Anforderung hineinstürzen.“ Sowohl die Koordinationsstelle, als auch die Ökostrombörse unterstützten motivierte Gründer:innen einer Gemeinschaft hier mit Know How, beispielsweise mit Baukasten-Prototypen für ein Statut.
Österreichweite Gemeinschaft
Weit über das Lokale hinaus gehen sogenannte Bürger:innen-Energie-Gemeinschaften (BEG), die ebenfalls mit dem neuen Gesetz möglich wurden. Sie können sich auf das Versorgungsgebiet mehrerer Energieversorger erstrecken. Eine Anlage in Vorarlberg kann also Konsument:innen aus dem ganzen Land mit Ökostrom versorgen. Die nach eigenen Angaben erste BEG in Österreich ist die 2018 gegründete, gemeinwohlorientierte Stromgenossenschaft OurPower mit Sitz in Wien. Auf dem Online-Marktplatz der Genossenschaft können Stromerzeuger:innen ihren Strom aus PV, Wind- oder Wasserkraft zu einem fairen Preis direkt vermarkten.
So würden die Preise für die Stromkund:innen weitgehend unabhängig von internationalen Entwicklungen bleiben, sagt Hemma Bieser, die seit Juni das Vorstandsteam von OurPower verstärkt.
Die aktuelle Energiepreiskrise zeigt, dass Bürger:innen-Energie die Strompreise stabilisiert.
Die Genossenschaft habe bereits 600 Mitglieder. Rund 200 Ökostromkraftwerke aus Wind, Sonne und Wasserkraft sowie einer Bio-Gas-Anlage versorgen die 1000 Kund:innen quer durchs Land. OurPower bietet die Möglichkeit, aus unterschiedlichen Kraftwerken zu wählen und auch ohne Smart Meter gemeinschaftlich erzeugten Strom zu beziehen.
Beitrag zur Energiewende
Energiegemeinschaften können maßgeblich zur Energiewende und damit zum Klimaschutz beitragen, sagt Patrick Fuchs von der Koordinationsstelle. Zu Beginn seien zwar viele bestehende Anlagen zu EEG umfunktioniert worden. Aber auch neue Anlagen würden errichtet und so der Ausbau Erneuerbarer angestoßen werden. Ein Nebeneffekt:
Die Akzeptanz gegenüber erneuerbaren Energieanlagen wird gefördert, weil man sich beteiligen kann.
sagt Fuchs. Daten zur Wirksamkeit der EEGs werden derzeit mit den Pilotprojekten erhoben. Das europäische Forschungsprojekt R2EC etwa sammelt Realverbrauchsdaten und den Beitrag regionaler Energiezellen in drei Musterregionen in Österreich, um das Gelingen der Energiewende zu erforschen.
Hemma Bieser sieht ein großes Potenzial für Bürger:innenkraftwerke in ganz Österreich. „Die Krise mit dem russischen Gas zeigt uns, wie groß die Nachfrage an erneuerbarer Energie ist. Die Menschen wollen auf erneuerbare Energie umstellen und auch investieren.“ Derzeit liege der Fokus noch auf PV-Anlagen, aber OurPower sei auch mit Betreiber:innen und Errichter:innen von Wasser- und Windkraftanlagen in Gesprächen und unterstütze derzeit auch fünf lokale Energiegemeinschaften. Denn durch den Mix von verschiedenen Energiequellen könnten auch Versorgungsengpässe – etwa von PV-Anlagen im Winter – abgedeckt werden.
Der mit EEG einhergehende Ausbau der erneuerbaren Energien könne die Situation hoher Strompreise entschärfen, meint auch Patrik Fuchs von der Koordinationsstelle. Würden in Zukunft mehr Biomasse und Wasserkraftwerke hinzukommen, können Energiegemeinschaften einen höheren Versorgungsgrad gewährleisten und gegen die Abhängigkeit vom internationalen Strommarkt helfen, zeigt sich Fuchs zuversichtlich.
Noch etwas weiter in die Zukunft denkt Hemma Bieser von OurPower: Interessant werde es, wenn künftig noch Speichermöglichkeiten eingebaut werden. Der Stromspeicher im Keller für eine PV-Anlage sei bereits eine gute Möglichkeit. „Aber spannender sind große Speicher, die sich zehn Haushalte teilen und intelligent bewirtschaftet werden. Das hat großes Potenzial“, betont Bieser.
Franz Kok von der Ökostrombörse sieht ebenfalls Entwicklungsmöglichkeiten über kleine Nachbarschaftsgruppen hinaus. Derzeit seien regionale EEGs häufig auf die kommunale Ebene fokussiert, doch oftmals würden mehrere Gemeinden an einem Umspannwerk hängen. „Mit einem Regionalentwicklungsansatz vermeidet man auch eine große Anzahl an Rechtsträgern“, sagt Kok.
Die gemeinschaftliche Wasserkraftschnecke im Almkanal in Salzburg kann also ein Puzzleteil sein vom Auftakt zu einer neuen, regionalen, erneuerbaren und damit klimafitten Energieversorgung.
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